Gartengeschenke

Am Wochenende war ich bei meinen Eltern. Sie haben einen großen Garten, den beide mit viel Liebe hegen und pflegen. Mein Vater macht jeden Tag mindestens zwei Kontrollgänge und guckt nach, was sich in den letzten Stunden alles verändert hat, und da gibt es immer etwas. Er weiß, wann sich welche Blüte entfaltet hat, wie die Rosen sich dieses Jahr entwickeln, um wieviel cm die Bohnen seit gestern gewachsen sind.
Er weiß auch genau, wo die Kohlmeisen-, Amsel- und Zaunkönignester sind. Er hat für seine kleinen wilden Haustiere (wie er sie nennt) mindestens fünf Luxuswohnungen gebaut – alle sind besetzt. Dieses Jahr hat sich sogar eine Nachtigall eingefunden – sie hat aber dann doch ein selbstgebautes Eigenheim vorgezogen. Er weiß auch, wo die Schnecken und Ameisen und Mäuse wohnen – was in der Regel kein Happy End für sie bedeutet.
Meine Mutter ist die Herrscherin über eine Armada von Kübel- und Topfpflanzen in allen nur möglichen Farben, die auch an allen nur möglichen Orten stehen oder hängen. Wenn die Pflanzen ausgeblüht haben, sammelt sie die Samen von besonders schönen Exemplaren und zieht im darauffolgenden Jahr neue Setzlinge daraus. Man weiß nie, was daraus entsteht, denn viele veredelte Pflanzen entwickeln sich in nur einer Generation zu ihren Ursprüngen zurück oder haben plötzlich ganz andere Farben.
Alles in allem ist der Garten meiner Eltern ein kleines Paradies. Es wächst und grünt unter den allerbesten Bedingungen, jede Pflanze wird genauso behandelt, wie sie es benötigt und entwickelt sich in den meisten Fällen prächtig.
Natürlich gibt es aber auch bei ihnen Pflanzen, die einfach nicht wollen. Sie düngen und giessen, verändern den Standort, mehr Licht, weniger Regen von oben – und trotzdem kümmern diese Blumen vor sich hin, kränkeln und gehen meist irgendwann ein. Da kann man nichts machen.
Die Samen, von denen ich vorhin berichtet habe, pflanzt meine Mutter jedes Jahr ein, und es werden immer so viele Pflanzen, dass sie nicht mehr weiß, wohin damit. Gestern hatte ich einen Gedankenblitz! Warum nicht das, was hier zuviel ist, dorthin bringen, wo es zuwenig davon gibt?
Also habe ich jede Menge Setzlinge mitgenommen und an meine Nachbarn verteilt. Unser Garten ist eine Ansammlung von Löwenzahn, Gänseblümchen und kahlen Stellen, denn gekaufte Blumen kosten Geld und das ist Mangelware bei uns im Haus. Ich glaube nicht, dass meine Nachbarn sich vorher schon mal so gefreut haben, wenn sie mich gesehen haben. Mit den Pflänzchen ging die Sonne auf, und ich glaube, ich kann mich dieses Jahr an jeder Menge gelber und orangener Studentenblumen in unserem Garten freuen.
Hier gibt es zuviel, da zuwenig – eigentlich ist es ganz einfach, und schon kommt Farbe in den Alltag. Aber ich habe vier Jahre gebraucht, bis ich auf diese Idee gekommen bin und mich getraut habe, einfach mal zu klingeln und zu fragen, ob jemand etwas haben möchte. Vier Jahre! Meine Güte. Ich hoffe wirklich, Gottes Zeitrechnung ist eine andere als unsere, denn wenn er auf uns warten müßte, wäre die Erde heute wahrscheinlich noch nicht fertig.

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